Eugenio d'Ors
GLOSAS EN OTRAS LENGUAS
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DIE WOHLGEPFLANZTE
(en Werner Krauss, Junges Spanien, Wege nach Orplid —herausgegeben von Dr. Martin Rockenbach— X, Orplid-Verlag. M. Gladbach und Köln, s. d. [post 1925], pp. 85-91; traducción alemana de los capítulos 7, 8 y 10 de la Segunda parte, y del capítulo 2 de la Tercera parte de La ben plantada)
I
Teresa sitzt im Garten und stickt; ein Bettler nähert sich da dem Zaun. Wir können es vom Café aus mit ansehen. Der arme Mann sagt:

—«Eine milde Gabe, um der Liebe Gottes willen!»
Teresa erwidert:
—«Gott beschütze Sie, Bruder».
Der Bettler beharrt:
—«Eine milde Gabe, gutes Fräulein!».
Und sie:
—«Heute teilen wir keinen Gaben aus. Kommen Sie am Dienstag wieder».

Tatsächlich ist es Sitte in dem Ort, dass die Bettler alle Dienstage vorbeikommen. Am Dienstag erhält jeder Bettler in jedem Haus etwas. Wer nicht fünf oder zehn Centimos opfert, gibt zwei. Das ist eine wohlgeregelte und vernünftige Einrichtung. Für geizig hält man das Haus, in dem nichts gegeben wird. Aber man hält es anderseits für einen Missbrauch, wenn ein Armer an einem anderen Tag als am Dienstag bettelt, oder wenn er am Dienstag zweimal kommt, wie es mitunter geschehen ist. Im allgemeinen aber halten sie sich treulich an das Herkommen. Es gibt Häuser, in denen man der Einfachheit halber auf einem Torpfosten eine Säule von Fünfcentimosstücken liegen lässt. Jeder Bettler nimmt sich dann das seinige, er braucht so weder zu bitten noch sich zu bedanken und kann getröstet seines Weges ziehen.

Manchmal kommt ein Bettler statt am Dienstag am Mittwoch. Aber dann entschuldigt er sich durch das Gitter:

—«Ich konnte gestern unmöglich kommen. Meine Beine wollten mich nicht tragen… Bergab geht es mit mir!».
Dann gibt man ihm in aller Ruhe, was ihm zusteht.

Aber der heute ist von anderer Art. Düster und gemein sein Gesicht — bei Nacht möchte man ihm nicht allein im Wald begegnen. Er geht laut fluchend weiter.

Einer der Caféhausbesucher, ein lebhafter Junge und angehender Dramatiker, nimmt Anstoss daran:

—«Hat sie ihm nicht gesagt, er solle am Dienstag wiederkommen? So weit kann ein häusliches Wesen in seiner unbewussten Hartherzigkeit gehen! Das schöne Kind hat vielleicht das schrecklichste aller Urteile gesprochen! Er soll am Dienstag wiederkommen! Wenn er aber inzwischen Hungers gestorben ist! Der Hunger! Als hätte dieses träge Mädchen, das in ihrem Garten stickt, eine Ahnung, was der Hunger für einen Menschen bedeutet!».

Da widersprach ihm einer der Tischgenossen, ein Arzt — immer, im Leben wie auf der Bühne, muss es ein Arzt sein, der etwas Derartiges sagt.

—«Was? der und Hungers sterben? Ihr müsst wissen, dass all diese Bettler nicht von weit her kommen. Sie hausen im Tal über dem Hügel; dort haben sie eine Art von Feldlager. Manchmal ritt ich bei Nacht vorbei und hörte sie zechen und Gitarre spielen».

Der lebhafte Junge hatte auch schon eine andere Meinung gefasst.

—«Nicht wahr? Wenn das nicht ein Missbraucht ist, dem man steuern müsste! Tatsächlich gibt es bei uns ein ganzes Nest von Müssiggängern! Wie viele leben nicht auf Kosten ihrer Mitmenschen! Das ist wie Diebstahl! Nichts anderes als Diebstahl ist es!».

Daraufhin arzählte er ein paar Anekdoten von Bettlern, bei denen man nach ihrem Tode ein grosses Vermögen oder Besitztitel über ganze Häuser gefunden hatte. Aber ein anderer meint:

—«Aufrichtig gesagt, ich glaube kaum, dass unter diesen Dienstagsbettlern ein Millionär ist. Trotz der Gitarre wird keiner von uns mit ihnen tauschen mögen! Es ist ein elendes Leben, glaubt mir das!».

Unterdessen ist die Mutter der Wohlgepflanzten, die ihre Tochter und die Stimme des Bettlers gehört hat, auf dem Balkon erschienen.

Sie fragt, was es gegeben habe. «Ich habe dem Mann gesagt», antwortet Teresa, «er solle am Dienstag wiederkommen».

Der Bettler flucht noch immer und wendet das Gesicht um. Mutter und Tochter sehen dem Trotzigen nach, der sich gegen die Sitte empört. Sie sehen, wie er sich, immer fluchend und drohend, allmählich entfernt.

Da findet die Mutter ein sehr natürliches und tiefes Wort:
—«Gewiss ist der nicht von hier!»
II
Zu früh haben wir versichert, dass im Umkreis der Wohlgepflanzten nur lauter guter Wille und freudiges Einverständnis herrsche.

Seit dem Beginn der Saison hat Teresa im ganzen zweiunddreissig anonyme Briefe bekommen. Teresa freut sich darüber, und das ganze Haus lacht mit ihr. Aber jedesmal ist es doch, wie wenn ein Grabstein einen Sprung bekäme und die ganze Schrecknis in seinem Innern durchblicken liesse.

Irgendwo muss eine hassgelbe Seele lauern, um ihr Gift im schamhaften Nebel der Einsamkeit zu bereiten. Armes Geschöpf! Wie man dich um deiner Feigheit willen bedauert! Da sitzest du, über ein Blatt Papier gebeugt, und deine blutlosen Finger ahmen mühsam eine Handschrift nach. Dein Mund faltet sich zu einer Grimasse, deine Augen verstecken sich in ihrer Höhle, und über der Stirn breitet sich der Schatten des Bösen. Oh, einen Spiegel jetzt, auf dass du dich in deiner Hässlichkeit erkennest. Aber auch der Spiegel könnte dir nicht helfen, wenn ihn nicht eine zärtliche, tröstende Hand vor dich stellte, denn du trägst das Leid tief in deinem Herzen, und niemand wollte dich trösten, und niemand wollte sich dir nahen
.
Einmal sah ich auf dem Urquinaonaplatz eines von diesen Geschöpfen, die anonyme Briefe versenden. Es war ein mittelgrosser Mensch mit schmutzigem Gesicht und schwarzem, zu beiden Seiten schon verfärbtem Bart. Er ging schwerfällig einher, wie unter der ständigen Drohung eines nervösen Anfalls. Ich sah an seiner Uhrkette ein rundes Medaillon mit einer farbigen Miniatur hängen; es war das Bild einer volkstümlichen Coupletistin. Vielleicht kannte er keinen anderen Menschen, dessen Bild er an seiner Uhrkette hätte tragen können. Ich sah, wie er mit unsicheren Schritten auf das Postgebäude zuging. Er zog einen Brief aus der hinteren Hosentasche und warf ihn mit einer hastigen Bewegung in den Schalter. Seine linke Hand vollführte dabei eine seltsame Gebärde; sie bewegte sich gegen die Öffnung, durch die der Brief gefallen war, als müsse sie ihm bei seinem Sturz nachhelfen. Und darauf steckte er sie entschlossen in die Tasche. Er ging in den nächsten Tabakladen, kaufte eine Zigarre und zündete sie an. Das sind Dinge, mein Gott, die einem die Augen in Tränen ertränken könnten!
III
Wir haben jetzt Klarheit und eine ruhige Sicherheit. Wir sehen sie und wissen genau, was sie für die Rasse bedeutet, wie sie mit jeder Bewegung, mit jedem Wort, das sie lakonisch ausspricht, eine Lektion ewig gültigen Katalanentums erteilt, mittelmeerländischen Patriotismus und klassischen Geistes. Die Wohlgepflanzte ist diesen Sommer über unser Lehrbuch gewesen, und bald können wir uns im Examen vorstellen.

Das Sinnbild der Wohlgepflanzten ist ein Baum. Sagt man nicht, «wohlgepflanzt» von einem Baum, der starke Wurzeln in der Erde birgt? Gewiss, aber beachtet, dass auch die Zweige Wurzeln sind, Wurzeln in der Luft. Mit seinen Wurzeln in der Erde ist ein Baum wohlgepflanzt. Mit seinen Zweigen wächst er in die Luft und in den Himmel.

So ist unsere Teresa. Das göttliche Fleisch, aus dem Teresa geschaften ist, erinnert an alle Toten ihrer Rasse, die die unsere ist. Ihr Fleisch ist sehr alt und voller Kultur; aber ihre Formen und ihre Bewegungen erhalten ihren mächtigen Reiz von der Zukunft. Sie haben im Himmel ihre Wurzeln und ihre Nahrung. Die Rasse besitzt Teresa, um an ihr neu zu werden, zu erblühen und die Früchte einer neuen Kultur zu tragen. Und es ist dieser geheime Reiz, dieses Hineinwachsen in die Zukunft, das aus ihrem Munde spricht, wenn sie, fast ohne sich selbst zu hören, das bewunderungswürdige Wort findet, dass sie «Kinder — aus sich haben» möchte.

Wohlgepflanzte! Wohlgepflanzte! Weil du gut gepflanzt bist, wirst du auch gute Früchte tragen!
IV
Was man nicht weiss! Was man nicht sagt! Die Wohlgepflanzte hat einen Bewerber gefunden! Dieser Tage ist er nach dem Ort gekommen, ein junger Abgeordneter, als welcher er der parlamentarischen Mehrheit angehört, ein Abgeordneter für irgendeinen vergrabenen Bezirk in Galizien. Wir haben furchtbar gelacht. Da unsere Teresa so volklich ist —so tief, so fein und so treulich Volk—, und der Abgeordnete so demokratisch, haben sie sich nicht verstanden. Er wollte sie zuerst blenden und dann plötzlich überrumpeln. Sie brauchte ihn nur zu sehen, um schon die Weise zu kennen, auf die er geeicht war.

Es war Abend, und wir sassen bei traulichem Gespräch in einer Nische in der «Herrenallee». Die Sterne, die ein Regen reingewaschen hatte, glänzten mehr als je, und der angehende Dramatiker, der mit der Wohlgepflanzten plauderte, sagte ihr schöne, etwas seltsame Dinge, die sie nur halb verstand, aber in dem Traumzustand, in dem sie sich befand, zutiefst erschütterten. Die Schwestern und die Freundinnen tuschelten leise. Da erschien der junge demokratische Abgeordnete. Die Familie, bei der er zu Gast war, stellte ihn vor. Mit sicherem Erobererblick hatte er seine Beute sofort entdeckt; er setzte sich in ihre Nähe, da der Platz an ihrer Seite nicht mehr frei war, und sagte in einem von galizischen Anklängen getrübten Spanisch:

—«Dieser junge Modernist verliert seine Zeit vergeblich. In Spanien hat die Frau keine Kultur».

Er hatte «junger Modernist» gesagt, weil in den Städten, in denen er zu Hause war, noch immer die «Modernisten» in Mode waren. Er hatte «die Frau» gesagt, und nicht «die Frauen» weil sie, die jungen demokratischen Abgeordneten, alle in diesem Tone reden. Er hatte «Kultur» gesagt, was in seinem Vokabular soviel wie «Bildung» besagen will; er ahnte natürlich nicht, dass ein Wesen, das der geheimen Tradition so treulich folgt wie Teresa, Kultur besitzen könnte, selbst wenn sie Analphabetin wäre.

Hierauf suchte er zu glänzen. Drei stereotype Wendungen in seinen Gesprächen waren: die Verherrlichung Madrids und, wenn es Sommer war, San Sebastians; die «Probleme, die bei der Ausübung seiner Advokatenpraxis auftauchten» und endlich das Kapitel «der Ideen». Gewöhnlich kam er der Reihe nach auf diese Themen zu sprechen; seine Übergänge waren aber weder gewaltsam noch sprunghaft…

Er sagte, er sei im Kursaal von San Sebastian gewesen und sei dann nach Barcelona gefahren, um die Rabassada tanzen zu sehen.

—«Eine grosse Enttäuschung. Den Katalanen liegt das nicht im Blute. Es liegt ihnen nicht. Es gibt hier kein Leben, keinen Glanz und keine Freude. Dabei kommt es natürlich nicht allein auf das Geld an. Aber ich sage Ihnen! Wenn Sie diese Automobile vor den Kursaaltüren in San Sebastian gesehen hätten!».

Niemand sagte ein Wort, wie gewöhnlich in solchen Fällen, und der junge Mann feierte sein Fest für sich allein, wobei er sich an der einsilbigen Zustimmung der einen oder anderen Matrone genügen liess. Als er dann aber auf Angelegenheiten seines Berufs zu sprechen kam, langweilten sich die jungen Mädchen und fingen wieder an, unter sich zu tuscheln. Und als man zum Kapitel der «Ideen» gelangte, fürchteten die Herren, es würde «unerquicklich» werden und standen von ihren Stühlen auf. Jedermann folgte ihrem Beispiel, und die Gesellschaft zerstreute sich. Aber der Abgeordnete wich nicht von der Seite der Wohlgepflanzten, bis sie ihr Gitter erreicht hatte, und ich glaube, auch nachdem die Türe hinter ihr zugefallen war, sah man ihn noch lange Zeit auf der Strasse auf- und abgehen.

Der folgende Tag war ein Sonntag, und man ging zur Messe. Sobald der Bewerber Teresa mit, ein paar Freundinnen auftauchen sah, stürzte er auf sie zu, um eine Unterhaltung anzuknüpfen. Er fand ein paar graziöse Scherze über die Menschen, die das Gotteshaus betraten.

—«Sehen Sie, sehen Sie, diese alte Frömmlerin mit altmodischem Fächer!».
—«Diese alte Frömmlerin mit dem altmodischen Fächer ist meine Mutter», versetzte Teresa gelassen.

Nach der Messe tanzte man. Der junge demokratische Abgeordnete konnte natürlich nicht tanzen…

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Última actualización: 14 de mayo de 2007