Eugenio d'Ors
GLOSAS EN OTRAS LENGUAS
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DIE NATION VON JULIAN BIS STRESEMANN
von Eugenio d'Ors
Mitglied der königlichen Akademie von Spanien
Eugenio d’Ors ist der bekannte spanische Philosoph.
Er hat sich besonders mit den kulturwissenschaftlichen Problemen befaßt. Zum Verständnis des folgenden Aufsatzes sei noch gesagt, daß er die Kultur als allgemeinere und konstante Einheit den politischen Gestaltungen überordnet. Red.
Freiere Ansichten über den Begriff der Nation, namentlich über die  historische Bedingtheit der Nationen, wie  ich sie vertrete, sind  mir tendenziös ausgelegt worden. Es ist nicht meine Absicht, diese Ausdeutungen hier oder sonstwo zu berichtigen. Im Gegenteil, ich werde sie bestärken. Denn ich glaube, daß man wenigstens in unserer Generation nicht radikal genug denken kann. Das, was als Irrtum mitgehen mag, kann auch die Arznei sein. Wir dürfen nie vergessen, daß unsere Stellung zu diesem Problem heute eine “Reaktion” ist. Denn mehr als ein Jahrhundert nationalistischer Superstition ist uns vorausgegangen. Die Stunde ist da, in der einige Häresien erlaubt sind.
Als konventionelle, historische und im Historischen neuere Einheiten können die Nationen verschwinden. In der Luft, die das heutige Europa atmet, gibt es in der Tat etwas, was die Götterdämmerung der Nationen voraussagt. Etwas, was der Atmosphäre gleicht, welche am Ende des Mittelalters die feudalen Institutionen umgab, als diese erloschen und größeren Gemeinschaften, den großen absoluten Monarchien Platz machten. Wir wohnen heute einer Umwandlung der öffentlichen Meinung bei gegenüber der Nation und den verschiedenen Idealen der Übernationalität – Völkerbund, Europäische Zollunion, Vereinigte Staaten von Europa, Pan=Europa. Diese Wandlung stimmt mit dem Wechsel überein, der damals die Autorität der Feudalherren vernichtete und sie durch jene einzige Autorität des Mornarchen ersetzte. Es ist ganz natürlich, daß das Verständnis für eine solche Wandlung sowohl jenen entgeht, die sie erleben, wie jenen, die sie führen. Die Spanier des fünfzehnten Jahrhunderts sahen in der Heirat Isabellas und Ferdinands nur eine Familienepisode. Sie bemerkten nicht, daß Spanien damals geboren wurde. Wenn es einige eigenartige Geister gab, welche die tiefere Bedeutung verstanden – das war vorher der Fall Dantes und nachher  der Fall Machiavells -, so erscheinen diese Geister uns heute als Propheten. Wer wird der Dante, wer wird der Machiavell der künftigen europäischen Einheit sein?
In solchen Etwicklungen ist in der Regel die Unbewußtheit der Träger. “Weltgeist zu Pferde” nannte Hegel Napoleon. Der Kaiser war in diesem Falle sich der Ladung, die er auf den Schultern trug, kaum mehr bewußt als das Pferd, das ihn trug. Vielleicht können wir heute gegenüber den von Briand und Stresemann gemachten Versuchen, die nationale Exklusivität zu überwinden, in jenem hegelischen Sinne murmeln: Der Weltgeist reitet auf einer Rede. Aber —erkennen wir es an— wenn heute der Weltgeist in dieser Richtung weht, so hat er bis gestern in umgekehrter Richtung geweht. Sogar das heute  noch eingeschlossen, weht er manchmal mit gewisser Unentschlossenheit  und schließt die entgegengesetzten  Richtungen nicht aus. In jedem Lande ist der Nationalismus heute stärker. So stark wie die feudalistische Auflehnung in den letzten Zeiten des Mittelalters. Es war nicht möglich, und es ist es heute nicht, das eine oder das andere zu eliminieren. 
Der Nationalismus hat –obwohl er nicht sehr alt ist- über die Kraft, die ihm seine tatsächliche Existenz gibt, seine Kraft auch aus einer gewissen Rechtsauffassung heraus gezogen, deren theoretische Fundamentierung älter ist. Denn nach unserer Meinung gehen die Formeln, hinter denen wir den Nationalismus erkennen, nicht weiter zurück als zum 19. Jahrhundert und der darin vollzogenen Dogmatisierung des Nationalgefühls durch Fichte. Aber wir glauben, daß alle Nationalisten von heute in Deutschland, wie in Frankreich Charles Maurras und die Seinen, überhaupt alle, die an die Nationen als ewige und höchste Einheiten glauben, für jedes Land nur den Typus des religiösen Denkers repräsentieren, der eines Tages im schauspielerischen und verstörten Geiste des Julianus Apostata geboren wurde. Julian ist in Wirklichkeit der ferne Patron und Vater jeglichen Nationalismus. Man hat schon oft ernsthaft danach geforscht, welches die wahre Religion Julians gewesen sei. Ich selbst habe schon im Jahre 1923 in einem Vortrage in Granada die Frage aufgeworfen und glaube den Schlüssel gefunden zu haben. Ich wollte sowohl die verbreitete Meinung beseitigen, daß Julian nur ein einfacher Restaurator des griechischen Götterglaubens gewesen sei, wie jene Voltaires und anderer seiner Zeitgenossen, die aus ihm einen Skeptiker und einen Atheisten machten. Ich wollte auch die delikatere, aber trotzdem irrtümliche Versuchung überwinden, aus ihm einen Philosophen zu machen, der in ironischer Herablassung  dem Volksglauben gegenüberstand. In Wirklichkeit haben wir es  weder mit Ironie noch mit Szeptizismus zu tun, auch nichts mit Polytheismus. Julian war vor den Griechen ein hellenistischer Polytheist, im Orient oder wenigstens in der Nähe Asiens ein Monotheist des Mithrasdienstes, ein Anbeter der Sonne. Auf der anderen Seite gab es sich als Beschützer der Juden, soweit die Juden nicht beabsichtigten, die Religion Jehovas aus ihrem Hause heraus oder in die Ferne zu tragen. Jehova war der Nationalgott, dessen Kultus auf das Land Israels beschränkt sein sollte. Und für ihn war das Göttliche nicht die örtlichen und historischen Auffassungen, sondern ein Ausfluß der nationalen Seele. So gingen die Völker dazu über, in Beziehung zu ihren Mythen eine Beziehung zwischen Gefäß und Inhalt herzustellen. Für Julian sind die Nationen Götter, wahrhafte Götter, ideell unverbindbar und permanent. Man kann nicht mit Bestimmtheit sagen, daß Julian die griechischen Götter verehrte und sie wieder einsetzen wollte. Was er verehrte und was er wiederherstellen wollte in seinen zwei Jahren der Herrschaft und tragischer Kämpfe, waren eben nicht die griechischen Götter, sondern Griechenland selbst, und zwar unter dem Gesichtspunkte der Ewigkeit, der Einzigkeit, der Göttlichkeit.
Beeilen wir uns anzuerkennen, daß dieser ideologische Traum weder für den Moment noch für viele Jahrhunderte den geringsten Erfolg hatte. Ihm gegenüber erhoben die christlichen Schriftsteller die These von der Universalität. Viel spätter konnte der Feudalismus ihr wenigstens widersprechen, wenn sie auch in der Theorie unschädlich war. Er organisierte die sozialen Gruppen aus dem Willen und der Willkür heraus als Institutionen privaten Rechts, keineswegs im Namen eines vorgeblichen Naturgesetzes oder eines dauernden göttlichen Willens. Er nahm so in bezug auf die Nation den geringstmöglichen Mystizismus ein. Sogar der Absolutismus des modernen Staates bewahrte seinen väterlichen Charakter und konnte weder in den Nationalismus verfallen noch das julianische Heidentum erwecken. Von dem Augenblick an, in dem ein Monarch durch Testament über ein Reich verfügen konnte, ist es klar, daß dieses Reich nicht mehr als etwas Göttliches betrachtet werden konnte. Erst mit der Revolution erscheint dieser Mystizismus in der Geschichte der Kultur, beim Zusammenfluß des Rousseauschen Mythus der “nationalen Souveränität” und jenes der romantischen Empfindungsweise eigenen Historizismus. Aus dieser Vereinigung ergibt sich in der modernen Welt die Restauration des Heidentums von Julian Apostata. In der Ideologie des 19. Jahrhunderts heißt sie “Nationalitätenprinzip”. Als solches bedeutet sie die Anerkennung der Nationen als ungeschaffene, unsterbliche, göttliche Einheiten, die vor jeden menschlichen Willen waren, ferner die Anerkennung von zwei Rechten, unerschöpflichen Quellen der Unruhe und fast aller modernen Kriege: auf der einen Seite das Recht jeder Nation auf eine selbständige unabhängige Existenz, auf der anderen Seite das Recht zur Rückforderung eines Territoriums, das in den bestimmten Bezirk einer Nation eingegliedert ist. Dieses letztere Recht erscheint mit seinem unendlichen Gefolge von Minoritätenfragen, Sprachenfragen usw. Das erste erinnert etwas an die berühmten Argumente Zenons von Elea vom Schnell-läufer und der Schildkröte. Denn so begreiflich die Forderung nach einem Stück Territorium für eine von eigenem Nationalbewußtsein getragene Autonomie ist, so wird dieses Bewußtsein niemals substantiell so unitarisch sein, um das Gleichgewicht zwischen zweien für sich national gerichteten Auffassungen möglich zu machen. Diese Zweiteilung könnte sich ins Unendliche fortsetzen, ohne daß man jemals, ausgenommen aus Opportunismus, sagen könnte, daß man eine befriedigende Form der nationalen Doppeleinstellung gefunden habe.
Diese ganze kritische Arbeit über den Begriff der Nation und der Konsequenzen ihrer abgöttischen Vergöttlichung führen  uns dazu, als Kriterium zwischen Einheit und Differenzierung nicht ein vorgebliches Dekret der Natur zu erblicken, sondern das Ergebnis eines in einem Pakte konkretisierten menschlichen Willens. So wie innerhalb einer die Ehescheidung anerkennenden Gesetzgebung die Eheleute moralisch der Sphäre der Fatalität entronnen und in die des freien Willens eingetreten sind, so ist im Paktstaat, den wir “föderativ” nennen, die Bindung aus der Region der Natur in die Region des Geistes übergegangen. Sie ist nicht übermenschlich, sondern menschlich, höchst menschlich. Die Pforte zur Rektifikation bleibt immer offen. Das Band, das das Nationale bindet, zeigt in einem solchen Staate seinen vertraglichen Ursprung. Diese Feststellung bedeutet -beeilen wir uns es zu sagen- nichts mehr als eine elementare Forderung der Aufrichtigkeit, der Klarheit, der Ehrenhaftigkeit. Wenn alle Söhne eines Landes die historischen Gründe seiner Konstituierung durchdrungen haben, werden sie den Glauben an ihren Nationalismus verlieren. Sie werden sehen, daß die Wahrheit in den Versen aus dem zweiten Faust enthalten ist:
Am Ende hängen wir doch ab
von Kreaturen, die wir machten.

Gegenüber einem ideologischen Trugbild hat jedoch die intelligente Einstellung sich nicht in Rebellion umzusetzen, sondern in die Unabhängigkeit des Urteils, die noch besser ist als die Heftigkeit des Auftretens. Es ist schon viel, wenn wir wissen, daß wir an jenes arme Vorstellungsbild geglaubt haben. Wenn wir ihm folgen, ohne seinen Ursprung aus den Augen zu verlieren, so werden wir auch mit ihm fertig werden.  So wird die zeitgenössische Welt fertigwerden mit der nationalen Ideologie, mit der theoretischen zuerst, mit der praktischen nachher. Jede Nation wird beurteilt von dem reinen Gesichtspunkte ihrer Bedeutung für die Kultur oder ihrer Nützlichkeit für die Entwicklung der materiellen Interessen. Der Patriotismus ist ein Gefühl, das aller Wahrscheinlichkeit nach niemals verschwinden wird. Aber er wird sich bei diesem Geschäft der Analyse seiner Voraussetzungen zweifellos mischen und die großen Streitsachen vertagen und ihrer Schmerzlichkeiten entkleiden. Einmal von dem Glauben an eine Naturgegebenheit der nationalen Wesenheiten befreit, wird das patriotische Empfinden einen Charakter der Freiheit, der Weitherzigkeit, der Flüssigkeit, der Unbegrenztheit erwerben, der für sich selbst keine Fixierung der Nationen als Wesenheiten begründet. Wie die Liebe allein mit ihren Unsicherheiten und Veränderlichkeiten keine Festigkeit der Ehe begründen kann. Ohne den Nationalismus wird der Patriotismus sich in einer ähnlichen Lage befinden wie jene des religiösen Empfindens, nachdem die Reformation es aus der maschinellen Regulierung durch die Kirche befreit hatte. Diese Entwicklung vollzog sich als eine reine Angelegenheit des individuellen Bewußtseins. Ebenso wie die vom Dogma emanzipierten religiösen Geister werden jene, welche in der Zukunft das Gefühl für Vaterland besitzen, und man könnte sie eigentlich nennen die “Freidenker des Vaterlandes”.
Mit diesem Titel, den er für eine Erhre hält, hofft der Autor der Betrachtungen über den Begriff der Nation bezeichnet zu werden. 


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Última actualización: 1 de octubre de 2009